16. Schweizer Stiftungssymposium 2017

Die Grosszügigkeit und die Bedeutung von Stiften

Referat von Monique Bär am 16. Schweizer Stiftungssymposium 2017 in Genf

Sehr verehrte Damen und Herren.

Ich habe heute die Aufgabe, vor Ihnen über Grosszügigkeit und die Bedeutung des Stiftens zu referieren. Ich möchte Ihnen offen gestehen, dass es mir während der Zeit der Vorbereitung nicht immer so wohl war mit diesem Thema. War meine Zusage ein wenig zu grosszügig, hat mich meine Grossherzigkeit dazu verleitet, mich hier etwas gar aus dem Fenster zu lehnen? Ja, bin ich denn überhaupt grosszügig?

Ist es nicht ganz einfach normal, wenn jemand, der etwas hat auch etwas gibt? Darf man über ein solches Thema sprechen, wenn man quasi selbst davon betroffen ist? Sollte man dies nicht besser der Wissenschaft oder den Andern überlassen?

Sie merken, ich winde mich etwas. Ich gebe zu, mir gefällt die Vorsilbe GROSS nicht. Ich finde, sie passt nicht zur Bedeutung dieses Wortes, wie ich sie verstehe. Im Lexikon heisst es zum Begriff „Grosszügigkeit“ gehören „Grossmut“, auch „Grossherzigkeit“. Wenn wir da einmal das GROSS weglassen, gehört Mut und „Herzigkeit“ dazu. Aber stimmt das wirklich? Ist das nicht eine etwas romantische deutsche Überhöhung einer Tätigkeit, die die Römer knapp als „Do ut des“ bezeichnet haben? Ich gebe, damit du gibst.

Mir gefällt dieser pragmatische Umgang mit dem Thema. Wenn ich nichts in die Gesellschaft einbringe, bekomme ich auch nichts zurück, oder umgekehrt, ich gebe etwas, damit etwas in Gang kommen kann. Mit dem Geben sind nicht nur finanzielle Mittel gemeint, sondern ebenso Zeit, Engagement, Arbeit. Geld zu geben ist nicht grosszügiger als Zeit, Arbeit oder Engagement in die Gesellschaft einzubringen. Es ist einfach eine andere Währung des Gebens. Ich möchte dies gerne auch so verstanden wissen.

Warum soll es grosszügig sein Geld zu geben? Geld allein bewirkt nichts, auch wenn es verschenkt wird. Geld ist wie ein Dünger, der im richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Menge im richtigen Biotop eingesetzt werden muss, damit die Pflanzen optimal wachsen können. Jede Hobbygärtnerin weiss jedoch, dass auch mit noch so richtigem Düngen noch kein Garten blüht. Wichtig ist auch das Klima, die Qualität des Saatguts, und natürlich die umsichtige Gartenarbeit.

Oft wird die Frage gestellt, ob es denn genügend Gebende gebe. Oder ob die Gebenden die richtigen Gebenden sind. Interessant ist, dass diese Diskussion vor allem um die finanziellen Geberinnen und Geber kreist. Man könnte doch auch umfassender fragen, ob es genügend Menschen gibt, die überhaupt etwas an die Gesellschaft geben? Da liegt doch die Problematik. Das Geben ist - in welcher Form auch immer- eine grundlegende Strategie sozialen Verhaltens und daher unabdingbar für unser aller Überleben.

Es gibt kein besseres oder schlechteres Geben, es ist ein sozialer Austausch, an dem wir alle mehr beteiligt und stärker engagiert sein sollten.

Geben ist mehr als Sharing, es ist nicht das Teilen von Likes, bei dem das immergleiche Selfie in tausend Facebook Accounts auftaucht. Sharing in Social Media bedeutet Vervielfältigen, Geben oder Stiften bedeutet teilen. Das heisst, wer Geld teilt, hat danach weniger, wer seine Zeit investiert hat danach auch weniger.

Ich plädiere dafür, dass wir ganz sorgfältig hinhören, wenn es ums Geben geht und dass wir hier viel mehr Pragmatismus einbringen und von der seltsam verschämten Aufblähung und Verzerrung des finanziellen Gebens zu einem offenen, taktvollen und umfassenden Verständnis dieser grundlegenden sozialen Praxis kommen.

Private Gelder sind wichtig, sie können Dinge anstossen, die es sonst nicht oder sicher nicht in dieser Form gäbe. Oder um es mit einem abgewandelten Sprichwort zu sagen: C’est le don qui fait la musique.

Was für Geldgeber wünschen wir uns? Soll oder muss ein Stifter altruistisch sein, oder ist es OK, dass er oder sie einfach sein schlechtes Gewissen beruhigen darf und darum Geld stiftet? Ist ein Stiftungsakt ein moderner Ablasshandel, oder eher eine Art Sozialsteuer für Reiche? Ist Stiften eine Wohltat für Wohltäter?

Ich glaube, auch in dieser Frage tendieren wir eher zu einer unglaublich ethischen Superhaltung, die mehr über unsere protestantische Ethik als über die Realität verrät. Vielleicht ist die Wahrheit viel banaler: Warum teilen Schimpansen das Fleisch mit Andern? Warum macht sich ein Pavian die Mühe, das Fell von anderen Affen seiner Gruppe zu pflegen? Ganz einfach, weil der Primat hofft, auch mal einen Happen Fleisch abzubekommen oder jemanden zu finden, der ihm den Rücken krault. Do ut des, oder eben in amerikanischem Wissenschaftsenglisch: Reciprocal Altruism.

Ich glaube, der Mensch ist nicht altruistisch an sich, aber er weiss, dass auch er auf die Hilfe von anderen angewiesen war, ist oder sein wird. So gesehen ist ein Stifter kein Gutmensch, sondern vielleicht nur ein Mensch, der weiss, dass er oder sie kein Geld in den Himmel oder die Hölle mitnehmen kann, vielleicht sind Stifter Menschen, die auch sich selbst gegenüber grosszügig sein können. Auf jeden Fall ist er oder sie jemand, der genug Mut hat, um in Gemeinnützigkeit zu investieren.

Ein gutes Herz allein löst keine Probleme, aber einige gute Herzen bringen schon ziemlich viel zu Stande. Es ist doch ganz einfach viel schöner, befriedigender und erfüllender auch ein gebender und nicht nur ein nehmender Mensch zu sein.

Geld stiften heisst sich selbst und anderen etwas gönnen, ohne gönnerhaft zu sein. Geld stiften bedeutet aber auch, dass ich als Person sichtbar werde. Gönnern gelingt es oft nicht, anonym zu bleiben. Stifterin zu werden ist auch eine Form des Coming-out. Man gewinnt dadurch nicht (einfach nur) in erster Linie Respekt und Dankbarkeit, sondern auch Geringschätzung, Häme und unzählige Bitten und Anfragen um Geld. Im Unterschied zum „Sponsoring“, bei dem es um gutes Product placement und eine Aufwertung der Marke durch gemeinnütziges Handeln von Unternehmen geht, ist „Stifterin werden“ eine weitaus persönlichere Angelegenheit. Ich muss mich dazu bekennen, dass ich Geld gebe, aber wenn ich mich entscheide, finanziell generös zu werden, muss ich mich auch überwinden ganz klar zu sein. Und ich muss sofort üben NEIN zu sagen. Dort liegt die wahre Herausforderung des Stiftens. Ich muss mir meiner Rolle bewusst sein, Lust haben zu Handeln, zu gestalten und mich nicht manipulieren, beirren oder überreden lassen. Ich darf und soll meine Freiheit spüren. Geld auf gemeinnützige Art auszugeben ist in jedem Fall freiwillig und doch in meinen Augen eine grundlegende Verpflichtung für jemand mit einem finanziellen Vermögen.

Um zu verstehen, was ich für eine Stifterin bin, muss ich wissen, was ich wirklich will und warum ich tue, was ich tue. Nur so mache ich mich unabhängig von Fremdinteressen und von der Meinung anderer. Ich muss verstehen, dass ich auch zur „Wohl-Täterin“ werden könnte und wo es Täter gibt, gibt es immer auch Opfer. Hier muss ich ganz vorsichtig sein, dass genau diese Asymmetrie nicht zum Spielen kommt

Wenn ich weiter untersuche, warum ich stifte, dann muss ich mich fragen, ob ich diesen Weg gewählt habe, weil ich in einer jüdisch-angelsächsischen Familie aufgewachsen bin und das Stiften kulturell in solchen Familien schon fast genetisch angelegt ist oder stifte ich, weil ich im sozialen Orchester mitspielen und etwas erreichen will? Es gibt ganz unterschiedliche Stifterpersönlichkeiten, oder um es mit demselben abgewandelten Sprichwort zu sagen: C’est le donnateur qui fait la musique!

Ein Stifter oder eine Stifterin handelt nie allein, er oder sie muss seine Handlungen mit anderen Akteuren orchestrieren. Die meisten Stifter wollen nicht die erste Geige spielen, sie wollen im gemeinnützigen Biotop nicht die lautesten Frösche sein. Um den eigenen Platz zu finden, muss man sich jedoch fragen, was in dem gemeinnützigen Bereich, in den man investieren oder den man unterstützen will, sonst noch kräucht und fleucht. Nicht alle Frösche wollen über die Strasse getragen werden. Nicht jedes Biotop verträgt Dünger, nicht jede Gemeinschaft mag Geber.

Vielleicht ist es so wie in der Wirtschaft, wo man sagt, dass jede Firma diejenigen Kunden hat, die sie verdient. Vielleicht hat auch jede Gesellschaft diejenigen privaten Geldgeber, die sie verdient.  Vielleicht verdienen wir bessere, vielleicht verdienen wir mehr Stifterinnen und Stifter. Vielleicht braucht es auch eine grössere Artenvielfalt und mehr Sorgfalt im Umgang miteinander.

Je diverser und heterogener das Biotop bevölkert ist, desto grösser also die soziale Diversität. Die Schweiz hat lange vom Vorteil dieser Vielfältigkeit, Dynamik und Lebendigkeit profitiert, heute ist diese am Schwinden. Gegen diese Entwicklung können auch noch so grosszügige Geldgeber allein nichts ausrichten. Auch in unserem Land wird die Kohäsion und das Wir-Gefühl weniger. Engagement schwindet, Kooperation nimmt ab, soziale Konventionen werden nicht mehr eingehalten, wir hören nicht mehr aufeinander, sondern schreien uns nur noch an, oder wir sind einander fremd.

Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der nicht nur Seinesgleichen geholfen wird, ich wünsche mir ein Land mit einem starken Willen zur gemeinsamen Lösungsfindung. Wir waren einmal gute Pragmatiker, heute haben sich viele von den anstehenden Problemen distanziert, sie werden sogenannten Fachleuten überlassen. Wahre Grosszügigkeit sieht anders aus: Wir müssen uns selbst wieder mehr Sinn stiften. Es gibt mehr im Leben als nur Geld oder Leistung. Engagement lohnt sich auf allen Ebenen, auch wenn es oft orchestriert wird mit Abschätzung. Wer etwas tut für die Gemeinschaft ist kein Gutmensch, sondern ein Mensch, der nicht nur mit sich selbst beschäftigt ist. Nur so ein Mensch hört die Musik in der Alltagsrealität unserer Gesellschaft, nur so ein Mensch kann durch diese so angeregt werden, etwas zu geben und im Orchester mitzuspielen. Oder eben: C’est la musique qui fait le don.